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LiteraTour #01 – Ludus de Antichristo

Literarischer Spaziergang von Prof. Dr. Klaus Wolf

Im mittelalterlichen Kloster Tegernsee entstand vermutlich um 1160 das älteste Schauspiel über das Auftreten des Antichristen am Ende der Zeiten: das Spiel vom Antichrist, in der damaligen Gelehrtensprache Latein „Ludus de Antichristo“. Darin geht es um die Inszenierung der kaiserlichen Herrschaft mit zahlreichen Anspielungen auf die staufische Reichsideologie und ein paralleles Antichristdrama, das durch ein göttliches Strafgericht beendet wird.

Ausgangspunkt des literarischen Spazierganges ist die ehemalige Klosterkirche, heute Pfarrkirche St. Quirinus, wo das Drama aus der Stauferzeit ehemals aufgeführt wurde. Nach Durchschreiten des Portals befindet man sich zunächst im Kirchenschiff, wo im Mittelalter das Publikum stand oder auch saß, um sich das Antichristspiel anzuschauen. Die Bühne mit den Thronen der Herrscher befand sich im Altarraum. Damit auch Menschen ohne Lateinkenntnisse dem Geschehen folgen konnten, wurde der gesungene Text von einer pantomimischen Handlung begleitet.

Der Klassiker: Gut gegen Böse

Im großen Endkampf am Ende des lateinischen Dramas stehen sich Kaiser und Könige, Christus und der Antichrist gegenüber. Schließlich wird der falsche Christus durch Gott entmachtet. Der erste Teil der Handlung beginnt mit der Erringung der Weltherrschaft durch den deutschen Kaiser, der schließlich demütig Krone und Zepter im Tempel zu Jerusalem niederlegt und sich auf sein deutsches Königtum beschränkt. Im zweiten Teil tritt der Antichrist auf, um Zwietracht zu säen. Im Augenblick seines höchsten Triumphs wird er von Gott selbst, gleichsam als „deus ex machina“, am Spielende vernichtet.

Die Tegernseer Mönche waren als intellektuelle Elite neben der Kirche in Rom auch dem Kaiserhof verpflichtet. So ist es nicht verwunderlich, dass im Benediktinerkloster Tegernsee etwa zeitgleich zu Minnedichtung und Romanliteratur auch ein derart schillerndes und in seinen politischen Kampfszenen sehr weltlichen Dramas entstand.

Faksimilierte Klosterschriften im Museum

Von der Kirche aus führt die Tour weiter zum Museum Tegernseer Tal, wo neben Originalobjekten und Modellen auch zahlreiche faksimilierte Handschriften und Druckerzeugnisse sowie ein umfangreiches Digitalarchiv den Schatz des ehemaligen Klosters zeigen. Hier wird die etwa 1.000-jährige Geschichte des Klosters Tegernsee von der Gründung 746 bis zur Säkularisation 1803 erlebbar gemacht.

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